Voller Wucht und Herz: Eisbrecher auf Kaltfront-Tour in Wiesbaden

Voller Wucht und Herz: Eisbrecher auf Kaltfront-Tour in Wiesbaden
Eisbrecher - 08.05.2025 Schlachthof Wiesbaden

Schneesturm bei stahlharten Sounds und ein Entertainer mit Jagdhorn, der in einer Welt voller Worthülsen und Herzchen-Emojis kompromisslos den verbalen Finger in die gesellschaftlichen Wunden legt – das ist Eisbrecher mit ihrem Frontmann Alexx. Wer all das und noch viel mehr erleben wollte, war am 8. Mai 2025 im Schlachthof Wiesbaden am richtigen Ort. Bereits nach dem Einlass am Merchandise-Stand bildeten sich lange Schlangen. Auch Mitglieder von Heldmaschine wurden am Stand gesichtet, nahbar und mitten unter den Fans. Wer sich dort nicht lange aufhielt, konnte noch einen der begehrten Plätze in Bühnennähe ergattern. Es dauerte nicht lange, bis der Schlachthof voll war.

Alexander Wesselsky begrüßte das Publikum an diesem geschichtsträchtigen Tag und nutzte den Moment, um an die Bedeutung historischer Verantwortung zu erinnern. Doch vor allem kündigte er Heldmaschine an, die Eisbrecher bereits auf der Europa-Tour und dem ersten Teil der Deutschlandtour begleitet hatten. Nun waren sie auch beim Auftakt der zweiten Etappe der Kaltfront-Tour wieder mit dabei. Also, irgendetwas scheint gut zu laufen. So stimmte Alexx die jubelnde Masse humorvoll und respektvoll auf Heldmaschine ein.

Im dramatischen Nebel und blauen Licht rollte die Heldmaschine zu „Eiszeit“ auf einem fahrbaren Untersatz in die Bühnenmitte. Dabei trugen die Bandmitglieder leuchtende Brillen im Stil von Cyclops aus X-Men. Das Publikum war sofort dabei, ganz nach dem Motto: „Springt! Bis euch der Rhythmus in die Knie zwingt.“ Vor einer industriellen Endzeitkulisse präsentierte die NDH-Band überwiegend Songs aus dem aktuellen Album „Eiszeit“. Neben dem Titelsong sorgten auch „Schachmatt“, „Schlag mich“, „Karl Denke“ und „Webterrorist“ für ordentlich Druck. Mit dem abschließenden „Ich rolle das R, weil es mir gefällt“ verabschiedeten sie sich unter Heldmaschine-Rufen und machten die Bühne frei für den Hauptact.

Dann war es Zeit für Eisbrecher. Im inzwischen aufgeheizten Schlachthof Wiesbaden bewies Alexx einmal mehr seine Entertainer-Qualitäten. Die Band eröffnete mit „Everything is wunderbar“, gefolgt von einer rasanten Setlist, die neuen Songs wie „Dein Herz“, „Einzelgänger“ und „Das neue Normal“ vom aktuellen Album „Kaltfront“ beinhaltete, aber auch ältere Kracher. Eine wirkungsvolle Lichtshow untermauerte die energiegeladene Dynamik sowie ruhige, fast meditative Momente. Ein visuelles Highlight war der Moment, als ein Gitternetz aus Lichtkegeln Alexx umschloss. Ob im arktischen Outfit heroisch durch den Schneesturm aus Schaumkanonen oder in einer herrlich überspitzten Persiflage auf deutsche Klischees am Rednerpult in bayerischer Tracht, mit Jägerhorn und Deutschland-Schal, zeigten Eisbrecher, wie man sich professionell inszeniert und seine Fans fasziniert.

Die Kapitänsmütze längst abgelegt, stand stets der gut aufgelegte Wesselsky im Spotlight, der mit seiner charmanten Art zu unterhalten wusste. Vor „So oder so“ scherzte der Sänger über neue Minister und den neuen Papst aus Chicago, der Stadt des Blues und Rock. Dabei streute er etwas Latinum ein, oder zumindest das, was davon noch übrig war. Alexx wetterte gegen Plattitüden wie „Alles gut“ oder das inflationär gebrauchte Herzsymbol und rief stattdessen zu echter Haltung auf, bevor er nahtlos in „Ich lass dich nie wieder los“ überging. Zu „Waffen Waffen Waffen“ erschien der Frontmann in einem Softair-Outfit mit kompletter Vermummung und sprühte am Ende ein Peace-Zeichen auf ein Bild – eine kraftvolle Inszenierung, die im Gedächtnis blieb. Alexx berichtete, wie er kürzlich sein Handy in Barcelona verlor und dabei feststellen musste, dass sein letztes Backup nie stattgefunden hatte. Ein kleiner technischer Albtraum, aber zugleich ein Aufruf, das Hier und Jetzt zu genießen. Während er Rosen an die Damenwelt verteilte, präsentierte er „Miststück“ in einer Akustikversion nur mit Gitarre.

Musikalisch ging es wild zu: Ein Drumsolo leitete zu „1000 Nadeln“ über, bevor Eisbrecher mit ihren Fans auf „Sturmfahrt“ gingen. Bei „Zunge“ kam Frank Herzig von Schattenmann auf die Bühne und brachte zusätzliche Energie. „This is Deutsch“ und „FAKK“ beendeten den Hauptakt gewohnt energisch. Mit den Worten „Habemus Wiesbaden – und Dankeschön!“ verabschiedeten sich die Musiker, doch die Zugabe-Rufe waren laut und unüberhörbar. Die Band kehrte mit „Zwischen uns“ zurück, gefolgt von einem aufrichtigen Statement: „Solche Abende geben einem den Glauben an die Menschheit zurück. Deswegen machen wir das.“ Es folgten noch „Was ist hier los“, das finale Falco-Cover „Out of the Dark“. Unter dem Einspieler „Junge, komm bald wieder“ flogen kuschelige Plüsch-Eisbären ins Publikum, bevor die Jungs unter kräftigem Applaus die Bühne verließen.

Zwischen leiser Romantik, klaren Worten und brachialen Klängen lieferte Alexx mit seiner Band nicht nur eine Show. Eisbrecher erschufen im Schlachthof Wiesbaden eine Sturmfahrt der Gefühle, auf der Kaltfront auf Wärme traf, Ironie auf Ernst, und Worte nicht nur unterhielten, sondern trafen und berührten.

Andreas Schieler

Leitung, Redakteur und Fotograf