Landmvrks überzeugen im Schlachthof Wiesbaden mit fulminanter Show

Landmvrks überzeugen im Schlachthof Wiesbaden mit fulminanter Show

Draußen hängt der Dezember schwer und nass über Wiesbaden, drinnen im Schlachthof liegt von Beginn an etwas in der Luft. Einer dieser Abende, an denen man merkt: Das Publikum ist nicht zufällig hier, denn es gibt vier gute Gründe, am heutigen Mittwoch, den 10.12.20205 das Haus zu verlassen. Landmvrks laden zu ihrer ersten Headliner-Show in Wiesbaden, begleitet von Underoath, Pain of Truth und Splitchain. Vier Bands, ein gemeinsamer Puls.

Die britische Band Splitchain eröffnet den Abend und sie holen die noch eintreffenden Fans direkt ab. Neunzigerjahre-Ästhetik überall: Trainingsjacken, übergroße Longsleeves, flackernde Lo-Fi-Videos, Röhrenmonitor-Testbilder. Es fühlt sich an wie ein bewusstes Eintauchen in ein anderes Jahrzehnt. Musikalisch zwischen Grunge, Alternative und frühem Post-Hardcore schwingen Bands  wie Alice in Chains, frühe Nirvana-Momente und Silverchair mit, ohne zur Kopie zu werden. Frontmann Roberto Martinez-Cowles sucht ständig den Blickkontakt, fordert Reaktionen und bekommt sie auch. Spätestens bei der Wall of Death zum Abschluss ist klar: Das Publikum ist angekommen – körperlich wie emotional.

Mit Pain of Truth hingegen haben New York Hardcore im Gepäck, roh und direkt, ohne ästhetische Umwege. Die ersten Sekunden mögen soundtechnisch etwas verwaschen wirken – doch das ist nach wenigen Takten egal. Vor der Bühne entsteht eine konstante, fast hypnotische Bewegung. Hiphop-Samples, Rap-Intros, massive Riffs – alles greift ineinander. Sänger Michael Smith ist ständig in Bewegung, läuft wie ein eingesperrter Tiger über die Bühne, gestikuliert, provoziert, zieht die Menge nach vorne. Niemand bleibt stehen. Die Nähe von Hardcore, Hip-Hop und Nu Metal wird hier nicht diskutiert, sondern gelebt. Am Ende verlässt die Band zu HipHop Beats die Bühne, während der Raum noch lange nachschwingt.

Underoath verändern die Atmosphäre spürbar. Die Energie bleibt hoch, wird aber komplexer, dichter. Das Magische des Sounds der fünf Musiker aus Florida ist eine Mischung aus Breaks und dissonanten Spannungsbögen, Riffs, die das Lied in der Mitte zu zersägen scheinen und die Songs gleichzeitig zusammenhalten. – begleitet von einer visuellen Inszenierung, die bewusst Unruhe erzeugt. Der große Screen simuliert Bildstörungen, hinzu kommen die aufgestellten Leuchtstoffröhren, die Lightshow wirkt wie ein permanenter Stromausfall. Spencer Chamberlain zieht das Publikum magnetisch an sich. Er schreit, faucht, windet sich um das Mikrofon, und zeiht das Publikum sichtlich in den Bann-und zu chorisch-dissonanten Gesängen wie „I’m drowning in my sleep“ entsteht ein auf einmal ein Moment kollektiver Konzentration, zu denen Spencer wie ein Messias die Arme in die Höhe reißt – bevor der nächste Ausbruch folgt. Vor der Bühne wird geschoben, gesprungen, geschrien, während Chamberlain uneingeschränkte Beteiligung einfordert : „Generation no Surrender-They have nothing to remember“ ist der Part, der gehorsam mitgesungen wird. Während Timothy McTague, permanent unter Strom, in die Saiten seiner SG haut, als wolle er sie zerstören. Chester fordert ungebremsten „Mayhem“, bevor er mit seiner bisher tiefsten Stimme die Höllenhunde loslässt. Der Energie dessen, was noch folgt, kommt dies am nächsten…

Landmvrks – Wenn alles zusammenkommt

Der Umbau dauert länger, die Spannung wächst. Die Pausenmusik wird lauter, aggressiver. Gespräche verstummen, als Prodigy‘s „Firestarter“ einsetzt. Jubel bricht los. Als der Vorhang fällt, ist der Schlachthof bereit.

Landmvrks starten mit voller Wucht – und verlieren sie bis zum Schluss nicht. Stroboskope, Pyro, Animationen, Lichtleisten: Die Show ist bis ins Detail durchchoreografiert, aber niemals steril. Jeder Song bekommt seine eigene visuelle Welt, während der Sound druckvoll und präzise bleibt. Die Jungs wissen, was sie können.

Flo Salfati überzeugt nicht nur stimmlich, sondern ist auch emotionaler Fixpunkt. Er sucht immer wieder den Kontakt zum Publikum, lässt Raum für kollektive Momente. Bei „Blistering“ fliegen Crowdsurfer, bei „Visage“ wird es kurz dunkler, fast introspektiv. „Sulfur“ brennt, körperlich spürbar, so wie die Pyrosalven, die regelmäßig Richtung Decke feuern. Die Klaviatur vieler Stimmungen sind der Band nicht fremd und auch die ruhigeren Passagen lassen die Spannung nicht sinken. „Suffocate“, reduziert ausgeleuchtet, lediglich drei Spots auf den Frontmann und der Schlachthof hält den Atem an. Es sind diese Momente, die zeigen, wie sehr Landmvrks mit Stimmungen arbeiten können, ohne an Intensität zu verlieren. „Our first headline show here“, sagt Flo mit hörbarem Stolz. Der französische Akzent bleibt, die Identität auch, nur das „H“ bleibt stumm. Sie steckt im Sound, in den Visuals, in den Bildern auf dem Screen und in den Texten, die auch mal auf Französisch sind – und in der Art, wie das Publikum darauf reagiert.

Ein pompöses Drumsolo leitet das Finale ein, bevor mit „Blood Red“ noch einmal alles freigesetzt wird. „Self-Made Black Hole“ schließt den Abend – düster, geschlossen, fast meditativ nach all der Gewalt. Als die Lichter angehen, bleibt niemand unberührt. Verschwitzt, heiser, euphorisch verlässt das Publikum den Schlachthof. Draußen wartet wieder der Regen. Drinnen hat sich etwas entladen. Und genau dafür war man hier.

Fotos: Gabi Henke

Sebastian Wienert

Redakteur und Fotograf