Christian Steiffen in Saarbrücken- Eine Achterbahn der Feelings und Emotionen

Der Zirkus Steiffen ist in der Stadt. Noch größer, noch ausschweifender, und diesmal sogar mit einem Überraschungsartisten im Programm präsentiert der Ausnahmebarde Christian Steiffen, bürgerlich Hardy Schwetter, handverlesene Songs seines Oeuvres einem begeisterten Saarbrücker Publikum und eröffnet am 05.07.2025 die Open Air Reihe der Garage Saarbrücken hinter dem E-Werk.
Es herrscht entspannte Stimmung an diesem warmen Freitagabend auf dem zu Beginn mäßig besuchten Gelände hinter dem E-Werk. Wie ein Pfeil auf die Bühne gerichtet verteilt sich die bunte Fanmasse im Schatten des Tontechnikturms in der Mitte des Geländes, lediglich ein paar Hartgesottene finden sich am Getränke- oder am Merchstand wieder, beides über den Abend verteilt stets gut besuchte Orte. Während wir über das Gelände schlendern, stelle ich fest, dass das Publikum recht gemischt ist, es jedoch auch im Auftreten gewisse Gemeinsamkeiten aufweist. Warum ich ausgerechnet jetzt den Polyester-Song aus Hape Kerkelings Film „Kein Pardon“ im Ohr habe… ich habe keine Ahnung.
Umgeben also von Paradiesvögeln aller Couleur und fast jeden Alters erwartet man gespannt die Vorband The Livelines, aber so richtig vorstellen kann man sich eigentlich nicht, welche Band es schaffen soll die Leute auf das bevorstehende Spektakel vorzubereiten. Martin Haseland und der Maestro selbst erscheinen schließlich kurz in Freizeitkleidung auf der Bühne, um das Geheimnis zu lüften, indem sie die Livelines als Abschlussklasse der Musikhochschule der gemeinsamen Heimat Osnabrück vorstellen.
Hochmotiviert stürmen die jungen Musiker die Bühne und machen…keinen Schlager, sondern gefälligen Indiepop mit großen Refrains, was vom Steiffen-Gemeindezirkus mit warmem Applaus quittiert wird. Sängerin Maria erweist sich als regelrechter Derwisch, fegt von links nach rechts über die Bühne und holt das Publikum da ab, wo sie gerade sind, zwischen dem zweiten und dritten Getränk und in Erwartung einer Steiffenshow, die sonst Altbewährtes und ein Quentchen Neues aufweist. Mit viel positiver Energie und eingängigen Eigenkompositionen präsentiert sich die junge Band mit professionellem Sound und bringt die eingeschworene Steiffengemeinde sichtlich in Stimmung und zum Mitsingen.
Es ist noch hell genug, die Bons für ein weiteres Getränk aus den Taschen zu kramen, bis die Vorstellung endlich beginnt. Viele nutzen die Überbrückungszeit noch, um ein buntes Getränk oder alternative Rauchwaren zu konsumieren, bevor die gigantische Bühne wieder freigegeben wird. Diese wird für die Hauptattraktion präpariert und zu Klängen von Bob Marley wird das altbekannte Kuriosenkabinett aufgestellt: Vermeintlich funktionslose Ventilatortürme („Wie der Wind“), Stühle, einer davon mit Sattel, das Haseland-Orchester und das Steiffen-Pax Schranksystem mit Kostümen und einer Jumbowesterngitarre.
Als dann die Reggaepausenmusik verstummt, weiss der Kenner schon, wie die Steiffenshow beginnen wird. Mit „Wie gut, dass ich hier bin“ leitet Christian wenig überraschend seine Darbietung ein und seine Fans folgen souverän der bekannten Choreographie, die er trotz unausgesprochenem Verständnis knapp erläutert: Arme von links nach rechts schwenken, schon die ersten Lieder mit Applaus und Zugaberufen quittieren und gegebenenfalls das Feuerzeug bereithalten, falls einen die Gefühle überkommen. Und die Stimmung ist großartig, denn bei Hits wie „Ich fühl mich Disko“, „Arbeiter der Liebe“ und „Ferien vom Rock n Roll“ ist für jede Gemütslage etwas dabei.
Mit im Gepäck hat er neben „Gefühlen, Feelings und Emotionen“ natürlich Martin Haseland, seinen kongenialen Mitstreiter, der in bester Harald-Schmitt-Herbert Feuerstein-Manier, mal kleingeredet, mal über den Klee gelobt wird. Auch wieder dabei: Der Osnabrücker Saxophonist Tommy Schneller. Wie bei der Auswahl der Vorband scheint der Support der lokalen Osnabrücker Musikszene ein Anliegen zu sein.
Da fast alles nur eine Show ist, zieht sich der Steiffen ständig selbst durch den Kakao und präsentiert die Kunstfigur wie immer als viel umjubelte Bühnenperson, die im letzten Drittel seiner Karriere angekommen, nicht konditionell nicht mehr mit der Anstrengung des Bühnenlebens Schritthalten kann und ständig außer Puste ist. Vor dem ernsten Hintergrund, dass Schwetter im letzten Jahr eine MS-Diagnose erhielt, wegen der er große Teile seiner Tour verlegen musste, zeigt sich, dass seine Kunstfigur Christian Steiffen auch biographische Züge hat. Als der Profi, der er ist, schafft der Künstler auch an diesem Abend das Kunststück, sich in all seiner Menschlichkeit zu präsentieren und privates Schicksal von der Bühnenschow zu trennen. An dieser Stelle nur die besten Genesungswünsche.
Nicht zuletzt spiegelt sich Menschlichkeit bei aller darstellerischen Distanz auch in den sarkastisch-ironischen Liedtexten wider, die zwar bisweilen jedes erdenkliche Niveau unterschreiten, letztendlich aber im Kern eine scharfsinnige Beobachtung der gnadenlosen Blödheit des menschlichen Zusammenlebens sind. Das Publikum scheint sich darüber kaum den Kopf zu zerbrechen, das muss es auch nicht, denn zum Feiern sind sie hergekommen und daher herrscht ausgelassene Stimmung. Bei Songs wie „Eine Flasche Bier“, „Selbstmitleid“ und „Ich hab dir den Mond gekauft“ nimmt der Abend Fahrt auf, für „Wie der Wind“ und „Budapest beim Schützenfest 1810“ wird tief in die Kostümkiste gegriffen (endlich kommt auch der gesattelte Stuhl zum Einsatz), und schließlich greift der Osnabrücker Bürgermeisterkandidat sogar selbst zur Gitarre, um über „Die dicksten Eier der Welt“ zu singen. Bei steigendem Pegel offenbaren sich vereinzelt die oben beschriebenen menschlichen Eigenschaften ihm Rudel, am Getränkestand oder vor der Bühne. Christian verlässt sogar kurzzeitig den geplanten Verlauf der Show, um ein paar Fans in den ersten Reihen zu rügen, dass sie scheinbar über den Becherpfand diskutieren, statt an seinen Lippen zu hängen. Auch grüßt er die Zaungäste am rechten Rand der Bühne, die unentgeltlich und mit verdutzten Gesichtern der Schlagershow folgen, indem er ihnen beste Sicht auf die Bühne attestiert, und, dass sie es wohl im Leben geschafft haben. Dann der Appell und die Warnung an alle, die heute zum ersten Mal bei einer Steiffen-Show sind: „Danach wird nichts mehr sein wie vorher. Und das ist okay!“
In der Mitte des Sets dann doch eine Überraschung: Das als Duett konzipierte „Du und ich“ wird traditionell im Halbplayback mit einem handverlesenen Fan performt. Doch Christian schickt die Auserwählte aus dem Publikum fast schroff zurück vor die Bühne, um dann die Sängerin Eva Schneidereit auf die Bühne zu bitten und mit ihr den Song und einen weiteren zu präsentieren. Die Originalbesetzung ist fast schon unangenehm berührt, dass die ausgesuchte Dame für sie vorzeitig das Feld räumen musste, aber der Verdacht, dass die gesamte Aktion von vorneherein abgesprochen war (und daher keiner zu Schaden kam), bleibt.
Schließlich bleibt im letzten Drittel der Darbietung keine Kehle trocken oder still als die Titel „Sexualverkehr“ und „Schöne Menschen“ angestimmt werden. Ein Abend, so abwechslungsreich wie eine Show beim Cirque de Soleil neigt sich dem Ende zu und nach dieser Achterbahn der Emotionen verlassen wir das Gelände mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ersteres ergibt sich aus dem Berichteten, das weinende Auge bleibt uns erhalten, bis der Steiffen das nächste Mal die Manege betritt, denn „The Show must go on“!
Fotos von Andreas Schieler