Christian Steiffen in der Batschkapp – Große Gefühle müssen raus
Hardy Schwetter hat sich vom Geheimtipp zum begehrten Star entwickelt. Kurz vor seinem großen Konzert in seiner Heimatstadt Osnabrück (15 Jahre Steiffen – Es war hart) beglückt Christian Steiffen am 06.10.2023 die Batschkapp in Frankfurt. Und mit Frankfurt hatte der Schlagerbarde eh noch eine Rechnung offen.
Eine schwere Geburt war das schon. Ganze vier Mal wurde das Konzert verschoben, wegen Corona (welches er liebevoll „die große Scheisse“ nennt) oder wegen Krankheit. Nun da es soweit ist, versammelt sich wieder ein buntgemischtes Publikum, um dem Meister bei der Ausübung seiner Kunst zu bejubeln. Hier schlägt keiner aus Neugier auf, jeder ist hier Fan, heimlich (neutrale Kleidung, verstohlener Blick und beeindruckende Liedtextkenntnis) oder öffentlich (Steiffen-T-Shirt, Rüschenhemd und beeindruckende Liedtextkenntnis). So ist die Stimmung gespannt wie ein Flitzebogen, denn eins ist klar: Gefühle müssen raus.
Mit „Zugabe“-Schreien wird der Vollblutmusiker und Schauspieler auf die Bühne gefordert, es riecht bereits nach verschwitzten Polyesteroberteilen mit einem Hauch Mottenkugel. Mit leichter Verspätung und unter frenetisch-gespanntem Beifall entert Christian Steiffen die Bühne. Humpelnd stützt er sich auf einen grazilen Gehstock und blickt zuversichtlich in die Menge, welche bereits die erste Zeilen des angestimmten Openers „Wie gut, dass ich hier bin“ mitsingt. Der Stock als weiteres Requisit einer Inszenierung mit Realanspruch, schließlich feiert der umtriebige Entertainer in Kürze sein langjähriges Bühnenjubiläum. Aber der Stock verschwindet bald und wie ein durch seine Jünger angespornter Messias erlangt er die nötige Vitalität zurück, um mit „Hier ist Party“ und „Ich hab die ganze Nacht von mir geträumt“ die Stimmung immer kurz vor dem Siedepunkt zu halten.
Auf der Bühne ist gewohnt viel Bewegungsfreiheit, da sich selten mehr als zwei Mitmusiker den Raum mit Steiffen teilen müssen. Die Bühnenausstattung ist verspielt-protzig, jedoch reduziert auf das Wesentliche. Ein Podest für die Tasteninstrumente seines Partners, eine offene Garderobe und Raum für jede Menge Feelings und Emotions. Auf jeder Tour kommt ein neuer Ventilatorenturm dazu, der allerdings selten zum Einsatz kommt, trotz aufkommender Hitzewallungen.
Das Programm führt uns mit „Arbeiter der Liebe“, „Eine Flasche Bier“ (mit Bonusstrophe auf Französisch: Tres bien!) zum Kern von Steiffens künstlerischer Aussage: Wir sitzen alle im selben Boot, haben die selben Bedürfnisse, auch wenn er manchmal klarstellen muss, dass er doch über den Dingen steht, denn am Ende hat doch er „Die dicksten Eier der Welt“.
Für das Duett „Du und ich“ sucht er wieder mal die textsicherste Selbstdarstellerin Frankfurts und gibt keine Ruhe, droht sogar mit Abbruch der Präsentation, bis sich nicht die „Richtige“ gefunden hat. Steiffen ist eben ein Perfektionist, immerhin lässt er es sich nicht nehmen sogar sein Echo beim Gesang selbst zu erzeugen. Schließlich ist es Valeria, welche die Hymne über die letzte Abschleppmöglichkeit gegen Partyende trällern darf und der er fünf Minuten Ruhm an seiner Seite beschert, um sie anschließend wieder in die Masse zu entlassen.
Es folgen weitere Lieder mit hohem Mitsingpotential und mit ganz viel Verständnis für schwierige Alltagssituationen sowie die Probleme der normalen Leute. „Selbstmitleid“, „Ich habe Haschisch probiert“, „Ich hab dir den Mond gekauft“. Mit realistischen, manchmal schonungslos präsentierten Weisheiten und einer Menge Selbstironie legt Entertainer Schwetter den Finger, manchmal die ganze Hand in die Wunden unserer Zeit und lasst uns spüren, dass er einer von uns – doch so viel besser ist als wir und seine Mitmusiker.
Eine kleine Zeitreise nach „Budapest“ aufs Schützenfest beschert er uns mit neuem Bühneoutfit und Dr. Martin Haseland, sein Assistent, der Mitproduzent und Tastendompteur der Show, der Herbert Feuerstein der Schlagerindustrie. Auf Insistieren des Chefs belustigt Haseland die Menge während des Songs mit rekordverdächtigen Kosakentanzeinlagen. Die Künstler geben hier wirklich 101 %! Dazu zählt auch der Osnabrücker Saxophonist Tommy Schneller, ohne dessen Spiel der Sound auf der Bühne nicht komplett wäre. Mit „Ich fühl‘ mich Disco“ entlädt sich die gesamte Ladung des anfangs gestreuten Samens des Wahnsinns.
Drei Zugaben gönnt uns der Meister, allen voran den viereinhalb-minütigen Altherrenwitz „Sexualverkehr“, der alle Kehlen einstimmen lässt. Mit Lust auf eine Zigarette danach. Danach verlassen wir die Show eines Künstlers, „den unser Land in dieser schwierigen und orientierungslosen Zeit braucht“ (wie er selbst auf seiner Facebook-Seite schreibt). Ob das so ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Fotos von Andreas Schieler