Hey NOAF: 20 Jahre „Neuborn Open Air Festival“

Wörrstadt empfängt uns zum Neuborn Open Air Festival am Freitag mit Sonnenschein und der Gelassenheit von 20 Jahren Metalerfahrung. Wer wie wir keinen Campingplatz gebucht hat, parkt auf einem gemähten Acker und macht sich auf den Weg zum Festivalgelände.
Der erste Act wird gleich starten und wir passieren Camper und Kombis, vor denen so einige Festivalbesucher noch Bier trinken, Karten spielen und sich mit eigener Playlist auf den Rest des Tages einstimmen. Wir schlüpfen in die Stimmung wie in eine Kutte; offen, bunt, bequem und verdammt laut. Was 2005 als Rock- und Metalveranstaltung mit Coverbands für die Jugendlichen der Region begann, ist längst ein überregionales Metalhighlight geworden mit unzähligen ehrenamtlichen Helfern. Das NOAF ist aus der Szene nicht mehr wegzudenken.
Während beim Einlass unsere Taschen kontrolliert werden, finden die letzten Soundchecks für den Opener statt. Die ersten Fans versammeln sich vor der Bühne, während andere noch auf den übers Gelände verteilten Sesseln und Sofas chillen oder sich untern den Sonnenschirmen bei Bier und Schorle unterhalten. Ein bisschen wie ne Familienfeier: jedes Alter ist vertreten, fast alle haben sich dem Anlass entsprechend gekleidet (die ganz Kleinen tragen Ohrenschützer) und es herrscht Feierlaune. Rund um die abgegrenzte Venue grüßt grimmig ein Gorilla an den Drums von den Jubilämsbannern. Einige tragen ihn auch schon auf dem Shirt. Diesen Merch gibt es exklusiv nur dieses Wochenende. Zwanzig Jahre Neuborn Open Air Festival: wir gehen rein.
Die Jungs von Leyka, einer jungen Metalcore Band aus Mainz, eröffnen den Festivalfreitag in Fussballtrikots und mit schnellen Riffs. Sie heizen dem noch nicht ganz so großen Publikum bestens gelaunt ein und rufen zur Wall of Death auf. Ein Ruf, dem begeistert Folge geleistet wird. Und Leyka schreit und growlt, also ob sie ein Stadion gefüllt hätten. Ein würdiger Auftakt. Nach einer kurzen Umbaupause kommt die Durchsage: „It’s time to kick ass and chew bubblegum and I am outa gum.“ Für uns heißt das: es ist Zeit für Traitor. Die Stuttgarter spielen Thrashmetal vom Feinsten. Und im Gegensatz zu den Bannern hinter ihnen, auf denen ihre Köpfe auf Pfählen aufgespießt in die Menge starren, lässt die Band ihre Haare fliegen und mosht gemeinsam mit den Festivalbesuchern. Der Platz vor der Bühne ist voll. Das Fest ist in vollem Gange.
Kurz vor 17 Uhr wird es trotz Sonnenschein endgültig dunkel auf der Bühne. Auftritt Lacrimas Profundere, eine Band wie aus einem Tarantino Film. Gründungsmitglied und Gitarrist Oliver Nikolas Schmid und seine Bandkollegen hauen uns ihren Dark-Metal um die Ohren. Wer Traitor schon schnell fand, wird hier fast überrannt. Sie spielen, als sei es ihr letztes Konzert. Sänger Julian Larre ist gefühlt überall gleichzeitig und im engen Kontakt mit dem Publikum. Er scheint seine persönliche Fanbase zu haben und niemand nimmt es ihm übel, als er: „I love the energy, doesn’t matter what fuckin‘ town it is“ schreit. Denn die Metalfamilie weiß: Wörrstadt ist international; zumindest im Herzen.
Wurde es bisher immer schneller und darker, so erwartet uns mit April Art eine Metal-Zäsur. Die hessische Band mit ihrer rothaarigen Powersängerin Lisa-Marie Watz kommt mit Palmen und roten, abgestimmten Outfits, irgendwo zwischen Fallschirmsprunghosen und Aerobickurs auf die Bühne. Passend dazu auch ihre Ansage zwischendurch: „Wir sind eine Rocksportband, ihr müsst euch bewegen.“ April-Art-Fans haben darauf anscheinend schon gewartet und springen im Takt mit. Doch die Sporteinlagen sind eben auch genau das: Einlagen. Uns fliegen Elektro- und HipHop-Elemente um die Ohren und Watz scheint weder durch Bewegung noch durch Schreien außer Atem zu kommen. Zwischen die tanzenden Besucher mischen sich Mitarbeiter vom NOAF, die rote Pyronebelkerzen zünden. Zum Abschluss fliegen noch riesige rote Wasserbälle in die Menge.
Das Festivalgelände ist inzwischen komplett gefüllt. Längst haben wir alte Bekannte getroffen und neue Bekanntschaften gemacht. Die Stimmung ist, wenn das möglich ist, noch besser geworden. Niemand stört sich an den Schlangen vor der Getränke- oder Essensausgabe, Pausen werden genutzt, um sich Merch oder neue Annäher für die Kutte zu kaufen. Einige ziehen sich zwischenzeitlich in ihren Campern um.
Den Konzertabend läutet die Metalcore Band Samurai Pizza Cats ein. Statt Lamettapalmen stehen jetzt Monitorwände auf der Stage. Während über die Screens ein digitaler Hintergrund flimmert, gehen die Jungs aus Castrop Rauxel ohne matching Outfits und Choreografie in die Vollen. Grindcore, elektrische Elemente und die Röhre von Stefan Fischer lassen die Menge headbangen. Dazwischen immer wieder Ansagen von ihm. Unsere liebste: „Das Einhorn ist die Mitte.“ Fischer hat einen Fan entdeckt, der nicht zum ersten Mal als Einhorn zu ihren Auftritten gekommen ist. Und so wird das Fabeltier zum Mittelpunkt des Moshpitts gemacht, während die Sonne in Wörrstadt untergeht und der Gorilla auf den Bannern nur noch schemenhaft zu sehen ist.
Phil Campell and the Bastard Sons fangen mit Verspätung, dafür aber mit voller Energie an. Die Walliser, die seit 2021 in neuer Besetzung mit Joel Peters auftreten (Peters ist der einige Nicht-Campell), lassen es sich nicht nehmen, „a whole lot of“ Motörhead-Songs zu spielen. Phil Wizzö Campell war bis zur Auflösung 2015 Gitarrist bei Motörhead und die Crowd könnte sich kaum mehr freuen. Jeder Song wird gefeiert und mitgegrölt. Für den fulminanten Abschluss waren die legendären Briten von Saxon geladen. Nach deren krankheitsbedingter Absage konnten die Organisatoren Udo Dirkschneider als Headliner gewinnen. Das Urgestein des Heavy Metal und ehemaliges Mitglied von Accept ist mit Band angereist und nimmt die laute Würdigung der Menge fast royal entgegen. Er steht mit weißen Handschuhen und aufrechter Haltung auf der eingenebelten Bühne während die Menge U-D-O skandiert. Sie feiern den Wuppertaler und seine unverkennbare, hohe Stimme. „Balls to the Wall“, was für ein Brett. Wir moshen mit und wünschen uns, mit 73 Jahren auch noch so cool zu sein. Der Festivalfreitag ist endgültig zu Ende gegangen und wir machen uns glücklich und mit ein paar Shirts mehr auf den Heimweg. Der Einstieg ins Metalwochenende hätte nicht besser laufen können.
Am zweiten Tag empfängt uns Wörrstadt mit freundlichem Pfälzer Spätsommerwetter. Zahni moderiert gleich eines der krassesten Bretter des Tages an. Kunststück, denn er weiss ja, was den gerade Erwachten blüht. Warfield aus unserem Heimathafen Kaiserslautern spielen ziemlich authentischen 80er Mosh. Mit Kriegsmetaphorik und aggressiven Lyrics frönen die jungen Lautrer konsequent Headbanging und blitzschnellen Riffs. Das Gesamtpaket stimmt, Jackson-Gitarren, Patronengürtel und Röhrenjeans. Zwischen genretypisch martialischen Gesten schwärmt das Trio von ersten Erfahrungen als Zuschauer auf dem NOAF, um jetzt schon auf der Bühne zu stehen. Leider sorgen ein paar technische Probleme mit dem Gitarrenkabel für eine Verzögerung, welche die gar nicht so zähe, aber verkaterte Masse vor der Bühne dennoch nicht vom Feiern abhält.
Es folgen Cold Snap, die den langen Weg aus Kroatien angetreten haben. Man muss sofort an Deftones denken, als die ersten Töne erklingen. Schnell nimmt das Set aber Fahrt auf. Direkter und tiefer in den Bauchraum dringend, zeigt die Band, dass sie doch eher im Modern Metal zuhause sind. „We’re taking you Straight to Hell“ growlt Sänger Jan, ganz in grau gekleidet, und buhlt um das Publikum. Tatsächlich hat sich dieses wieder etwas mehr auf dem Gelände verteilt, doch die Bühnenschneise füllt sich wieder gemächlich, aber mit Sogwirkung zum direkten brachialen Sound der Kroaten. Ein Highlight der Show: sicherlich das orginelle Cover von „Bongo Bong“, härter und ohne die Leichtigkeit des Reggae, ist die DNA des Songs doch erkennbar.
Zur etwas tiefer stehenden Sonne zeigt sich Nungara. Das Trio setzt auf die betörende Wirkung von Frontfrau Noelle. Die Ex-Cobra-Spell Musikerin ist keine Unbekannte im Business und schafft durch die Mischung von betörendem Gesang und bedrohlichem Growling eine ganz eigene Liaison durch fett dräuende Riffs, die schön heavy mit den Melodien verschmelzen, und immer wieder durch das Doublebassgewitter des Schlagzeugers unterbrochen wird. Die Band äußert Verständnis für die Absage von Spirit Adrift, erweist sich aber gleichzeitig als würdiger Ersatz für die US-Metaller.
Bei bestem Wetter schlendern wir wieder über das Gelände und saugen bei einem Schoppen die familiäre Atmosphäre auf, bevor wir uns mit Ellende auf neues Terrain begeben. Mit bedrohlicher Schminke faucht sich Sänger Lukas Gosch durch den Soundcheck, und sie verlassen wieder die Bühne um Zahni das Feld zu räumen. Der hat ein paar „Zuckerle“ zu verteilen und Liebe zu bekunden, indem er auf die Signing Sessions hinweist. Für einen Moment nimmt der gute Geist des Festivals ein wenig die Illusion, die entstehen soll, wenn Untote und Nachtschatten bei bestem Sonnenwetter auftreten. Ein getragenes Pianointro weht die Österreicher schließlich auf die Bühne. Mit langsamen Bewegungen baut sich zeitgleich der Soundwall auf, und fauchend tritt der okkult anmutende Sänger als knochenbesetzte Erscheinung vor das Mikro. Der Sound wird dichter, heavier, auch wenn das Tempo nicht anzieht. So entfaltet die Post-Blackmetalband ihre Bühnenshow, atmosphärisch eigen und mit Ambient Elementen. Sänger J.G. orchestriert, dirigiert oder schlitzt sich pantomimisch die Kehle auf. Eine stimmige Performance, welche einen in den Bann zieht.
Kurz vor sechs beenden Ellende ihre Maskerade und ein Moment der Stille auf der Bühne offenbart die tausenden Stimmen gut gelaunter Noaferaner, die palllavern, lachen, essen und trinken. Ein ausgelassenes Volk genießt sichtlich die schwere Beschallung bei bestem Wetter und wolkenlosen Himmel. Doch ein weiteres Brett bahnt sich an, als dann Suicidal Angels, eine griechische Thrash-Metal-Band, die Bühne entern. So steigen sie mit der Filmmusik von Der Weisse Hai ein, um sogleich mit einer Welle aus Doublebass and Thrashriffs die wartende Menge zu überrollen. Klassischer Thrashsound (Slayer lässt grüßen) und schneidende Soli lassen wenig Zeit zum Verschnaufen, Hörner schnellen in die Luft und der Platz füllt sich zügig wieder mit moschenden Gästen. Die Griechen enttäuschen nicht, werfen ihre Mähnen durch die Luft. Der Song „Queens of Madness“ endet mit einer diabolischen Lache des Sängers und martialische Gesten entsprechen ganz der Vorstellung, welche wir von dieser Sorte Bands haben. Auch wenn zu Beginn des nächsten Songs ein Gitarrenpart eingespielt wird, der wie eine Hommage an die traditionelle Musik ihrer Heimat klingt. Die Fäuste sind bald alle in der Luft als das Riff nach und nach in den Song einleitet, treibend und melodisch zugleich. So ist Metal doch immer wieder überraschend.
Das NOAF ist bekannt dafür, den musikalischen Stilbruch zu zelebrieren und Bands eine gemeinsame Bühne zu geben, die nicht alle dem gleichen Genre angehören. Mit Long Distance Calling verlassen wir bisweilen sogar den Bereich des Rock, auch wenn keine Schublade groß genug wäre, um die musikalische Vielfalt der vier Münsteraner zu fassen. Songs wie „Black Pepper Planes“ und „Giants Leaving“ sind der beste Beweis dafür. „Lasst uns zeigen, dass man auch bei einer Instrumentalband abgehen kann“, verkündet Leadgitarrist Florian, und damit sollte er Recht behalten. Ein Set wie der Soundtrack zu einem Film und eine bestens eingespielte Band schafft diesen Spagat mühelos und hat bald das gesamte Publikum auf ihrer Seite. Plötzlich: Pyrotechniker, die sich fast unbemerkt zwischen die Leute gestellt haben, versprühen rosa Rauchschwaden im Publikum und erfüllen die Luft mit Schwefelgeruch, schaffen passend zur Dämmerung eine Hammer Atmosphäre.
Als die mit Spannung erwarteten Annisokay dann schließlich die Bühne betreten, die mit großen Monitorwänden ausgestattet worden ist, ist die Sonne bereits untergegangen. Das hindert die agile Post-Hardcore-Truppe aus Halle nicht daran, ihre Abrissparty mit den mitgebrachten Fans zu zelebrieren. Videoeffekte, die collagenartig und mit schnellen Schnitten gedrehte Clips zeigen, ergänzen die aufwändige Lightshow. Der Sound der Band lebt in erster Linie von der Mischung der beiden Gesangsstile, eingängige Refrains in hoher Stimmlage wechseln sich mit modernem Growling von Sänger Rudi ab, unterlegt von hämmernden Programmings und brachialen Gitarren. Eine beeindruckende Darbietung, die leider von Gitarrist und Sänger Christoph kurzzeitig wegen Kreislaufproblemen unterbrochen werden muss, schließlich aber dann doch zu Ende gebracht wird. Der Abend steckte voller Überraschungen, was die Fans des gepflegten Metals locker verdrängen, wegmoshen oder oder -trinken. Keine Zwischenrufe, sondern warmer Applaus, als die Band zum letzten Drittel ihres Sets die Bühne betritt.
Es steht außer Frage, dass für viele das Highlight noch bevorsteht. Mit ihrer einzigartigen Mischung aus Black-Culture-Musik sowie Technical- und Progressive-Metal stapfen Zeal and Ardor zu siebt auf die Bühne und ziehen sofort alle mit Ihren eigenwilligen, fast hypnotischen Liedern vor die Bühne. Im Herzen eine Metalband, beeindrucken sie aber immer wieder die überraschenden Stilwechsel. Die Musiker stehen vorne wie eine Wand aus individuellen Künstlern in einer Reihe, ein Mix aus Deutsch, Englisch und versch. Sprachen. Vor allem die drei Sänger, die mal soulig mal screamo, aber immer präzise ihre Einsätze vorbringen, sind das Highlight des Abends, mittendrin: Mastermind Manuel Gagneux, der das Projekt 2013 ins Leben rief. „Wave of the Nation“, „Gravedigger’s Chant“ oder „Götterdämmerung“ sind nur eine Auswahl hochkomplexer und doch eingängiger Kompositionen. Ein brachial-pulsierender Drummer ist das Uhrwerk, der dafür sorgt, dass die außergewöhnlichen Stilbrüche zusammenführt werden, der Fills spielt und die zahlreichen Breaks kittet, so dass der Song nicht auseinanderbricht. Manuel zeigt sich bestens gelaunt, kündigt an, dass dies wohl der letzte Gig des Jahres werden wird und dies Grund genug sei, sich nochmal völlig zu verausgaben.
Und mit dieser Energie entlässt man uns schließlich nach 11 in die Spätsommernacht. Ein tolles Festival, welches wie immer all seine Qualitäten ausgespielt hat. Es war uns ein Fest, wieder dabei gewesen zu sein. „Hey NOAF! bis zum nächsten Mal!“
Text: Sebastian Wienert und Fritzi van Ribbeck
Fotos: Andreas Schieler und Pierre Ames