Im hellen Schein der Flammen: In Extremo starten Rauhnächte in Wiesbaden
„Wir hätten uns keinen besseren Ort als Wiesbaden dafür vorstellen können. Danke, Schlachthof!“ Gerade zelebrierten In Extremo ihr Jubiläum auf der Loreley, und schon ist wieder Vollgas angesagt. Am 18. Dezember 2025 fiel im fast ausverkauften Schlachthof Wiesbaden der heiße Startschuss ihrer „Rauhnächte“-Tour – angelehnt an einen vorchristlichen Brauch zwischen den Jahren, um auf das Vergangene zurückzublicken und sich auf das Kommende zu freuen. Bis zum Jahresende wird die Mittelalterrock-Band zusammen mit Dominum durch fünf weitere Städte ziehen und wollen eindrucksvoll zeigen, dass sie auch nach 30 Jahren nichts von ihrer Leidenschaft für intensive, energiegeladene Konzerte verloren haben.
Doch zunächst eröffnet der Special Guest mit „Danger, Danger“ einen schweißtreibenden Abend. „Wir sind Dominum aus Nürnberg und sind hier, um für eine Band namens In Extremo einzuheizen“, bringt Frontmann Felix Heldt gleich zu Beginn auf den Punkt. Mit ihm alias Dr. Dead und drei weiteren Zombies in Form von Bassist Patient Zero, Drummer Victor Hiltop und Tommy Kemp an der Gitarre steht offensichtlich keine unbekannte Band vor der feiernden Menge. Dominum haben einige Fans nach Wiesbaden gezogen, die textsicher Songs wie „The Dead Don’t Die“ oder „Frankenstein“ mitgrölen. In dieser ausgelassenen Stimmung zieht zu „We Are Forlorn“ Weihrauch durch die Halle und bleibt zum Leid des einen beziehungsweise zur Freude des anderen noch lange in der Nase. „Wir müssen Acht geben, dass wir uns gegenseitig zuhören und nicht bekämpfen, um nicht zu den Bösen zu werden“, mahnt Felix mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung, als Metapher zu „Don’t Get Bitten by the Wrong Ones“.
Die Anhängerschaft zeigt sich einmal mehr, als der Sänger nachfragt, wer die Power-Metal-Band schon mal gesehen hat. Daraufhin meldet sich gut die Hälfte. An den Rest wendet sich Felix mit Augenzwinkern: „Hallo, wir sind Dominum – The Guardians of the Night.“ Das Zombie-Bühnenkonzept greift und Untoten machen genau das weiter, was sie sich auferlegt haben: Sie heizen ordentlich ein und legen mit „Hey, Living People“ merklich noch eine Schippe drauf. „Wiesbaden, macht ihr den Schwachsinn mit? Wir können das Set mit ‚Last Christmas‘ oder mit einem Bang beenden.“ „Last Christmas“ hat zwar ein paar Anhänger, hat jedoch keine Chance gegen „The Chosen Ones“. Schwarze Luftballons hüpfen über die Köpfe, lautstark grölt der Schlachthof bis zum Schlussakkord von „Immortalis Dominum“. Lang anhaltender Applaus begleitet Dominum von der Bühne – die Untoten haben ihre Mission mit Bravour erfüllt und Wiesbaden zum Leben erweckt.
Plötzlich ein lauter Knall, der die Halle zusammenzucken lässt. Die Schockstarre wird langsam von der Titelmelodie aus „Game of Thrones“ gelöst, während In Extremo zwischen Flammen und Pyroeffekten vor die jubelnden Fans treten. Der Opener „Weckt die Toten“ bildet dabei thematisch den gelungenen Übergang von den Zombies zum feierlustigen Mittelalter. Sichtlich gut gelaunt begrüßt Sänger Micha Wiesbaden, erzählt von einem ereignisreichen Jahr – allen voran von der dreitägigen Jubiläumsfeier auf der Loreley – und davon, dass die nimmermüde Band zum Jahresende noch immer Lust auf Konzerte hat. Und im Spotlight duzender tanzender Strahler lassen In Extremo auch keine Zweifel daran aufkommen. Mit dem „Spiemannsfluch“ und „Vollmond“ legen die sechs Musiker zwei Kracher nach, die vom ersten Ton an zünden, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn an Pyrotechnik wird von Beginn an nicht gespart. Flammen schießen empor, Funken regnen, Feuerwerk in allen Farben begleitet die 24 Lieder lange Setlist. Die „Feuertaufe“ steht sinnbildlich für den Abend. Band mit Publikum „verbrennen“ zusammen und schreien es lautstark aus einer Kehle, bis schließlich auch „Troja“ brennt.
„In-Extremo“-Sprechchöre geben den Musikern eine kleine Verschnaufpause. „Das geht runter wie Öl. Im Schlachthof macht es Spaß zu spielen. Das ist eine richtig schöne Rockhöhle“, schwärmt Micha vor „Wolkenschieber“ und testet scherzhaft wiederholt die Toleranz der Wiesbadener gegenüber Offenbach. Zwischen zwei Flammenfächern und Feuersäulen steigt nicht nur das Stimmungsthermometer, bis in die hinterste Ecke spürt man die Hitze, die auch während „Werd ich am Galgen hochgezogen“ Schweißtropfen auf die Stirn treibt. Die komplette Band hat offensichtlich großen Spaß untereinander und mit ihren Fans. Dass es gerne mal ruhiger oder nachdenklich sein darf, zeigen In Extremo sowohl mit „Ave Maria“ auf einer in Rot getauchten Bühne, als auch bei „Lieb Vaterland“. Zu letzterem holt der Sänger einen kleinen Fan auf die Bühne, der ihm zuvor aufgefallen ist, und schenkt Marius bei seinem allerersten Rockkonzert einen besonderen Moment. Micha erinnert an die junge Generation, die ihr Leben in Kriegen aufs Spiel setzt.
Die Setlist bietet ein Hit-Potpourri, einen spannenden Querschnitt durch die Bandhistorie, der im Schlachthof Wiesbaden voll aufgeht. Das emotionale „Feine Seele“ taucht die Halle in ein wogendes Lichtermeer, während „Küss mich“ und „Störtebeker“ wieder aufdrehen. Wiesbaden feiert alle Facetten und scheint nicht müde zu werden. Selbst als die Band nach zwei Stunden versucht, sich zu verabschieden, zeigt der Schlachthof keine Ermüdung und fordert mehr. Und das bekommt er natürlich. Mit den Worten „Tourauftakt Rauhnächte in Wiesbaden – besser geht es nicht“ läuten In Extremo die Zugabe ein. „Erdbeermund“, ein ausgiebiges „Sternhagelvoll“ und „Pikse Palve“ verlangen den Fans noch einmal alles ab. Die Kehlen krächzen inzwischen laut oder heiser im Konfettiregen, und zwischen Seifenblasen erklingen die bekannten Zeilen. Selbst nach dem letzten Ton bleibt der Eindruck, dass eigentlich niemand schon gehen möchte. So beginnen Rauhnächte.