Grausame Töchter live: Get Your Overdose im Frankfurter Bett

Grausame Töchter live: Get Your Overdose im Frankfurter Bett
Grausame Töchter - 05.09.2025 Das Bett Frankfurt

Im Club Das Bett in Frankfurt inszenierten die Grausamen Töchter einen Rausch aus Lust und Schmerz. Auf ihrer „Get Your Overdose“-Tour und unterstützt von Vampyros Lesbos konnte sich am 5. September 2025 jeder seine Überdosis an tabubrechender Provokation, ungezügelter Ekstase und düsterer Energie abholen. Schon beim Betreten der Halle spürte man, dass diese Nacht alles andere als gewöhnlich werden würde.

Die ersten Schatten der Nacht gehörten Vampyros Lesbos. Mit „Angemessen“ traten die beiden Musikerinnen Elisabeth Brenner und Ostara Männel, ganz in schwarzem Lack gekleidet und von einem dunklen Trauernetz verschleiert, vor das Publikum. Harmonische Vocals, harte Elektro-Beats und Verse voller verbotener Sehnsüchte legten sich wie ein fesselnder Schatten über den Club. Fast alle Songs des Sets stammten aus dem aktuellen Album „Vi Per Sanguinem“. „Schwarz/Weiß“ und „Wir tragen Schwarz“ öffneten die Türen zu der sündig-schönen, vampirhaften Welt des Duos, während „Willst du mal“ und „Sinnlichkeit“ die Stimmung zunehmend lasziv färbten. „Sklavin“ riss die Menge dann abrupt aus der Trance und schleuderte sie in gnadenlose Härte. Zum Finale setzten die beiden einen ironisch-verspielten Kontrapunkt: Mit Seifenblasen-Pistolen erfreuten sie die ersten Reihen und unterstrichen den Titel „Flüssigkeiten“ augenzwinkernd. Der Saal war nun restlos bereit für den Hauptakt.

Die Überdosis setzten dann die Grausamen Töchter. Mit den ersten Tönen präsentierte die hüllenlose Sängerin Nana Nocturnal Schilder mit Aufschriften wie „Satisfaction through Pain“, „BDSM for Satisfaction“ oder „No Mercy for Me“ und gab damit unmissverständlich die Marschrichtung des Abends vor. Mit „Berlin Kokain“ eröffnete die in Hamburg gegründete Band schließlich ihr Set, und der Club wurde zur düsteren Spielwiese. Mastermind und Sängerin Aranea Peel, mit grüner Langhaarperücke, funkelndem Zahnschmuck, großen dunklen Augen und langen Wimpern – ein bizarrer Mix aus Techno und Goth – dominierte von Beginn an die Show. Mit durchdringendem Blick, ekstatischer Körpersprache und einer Stimme, die zwischen zärtlichem Flüstern und schneidender Härte wechselte, ließ sie keinen Zweifel, wer hier das Ritual anführte. An ihrer Seite sorgten Thenia Afentoulidou und Nataly Nichil im strengen Leder-Dress für vokale Power, während Nana unentwegt zwischen Performerin, Sängerin und Flötistin wechselte.

Nach dem Opener meldete sich Aranea Peel mit einer leicht verspäteten Ansage zurück. Ein kleiner Technik-Missgriff hatte sie zuvor ausgebremst, was ihr einen schneidenden Blick in Richtung Mischpult und einen bissigen Kommentar entlockte. Doch gleich darauf ließ vor allem das neue Werk „Göttin und Miststück“ Das Bett heiß laufen. „Nothing More to Say“ wirkte wie eine kurze Atempause, bevor mit „Arroganz“ ein ironisch überhöhter Hingucker folgte. Hier brillierte Thenia herrlich überzogen: Mit Champagnerglas und Krone thronte sie wie eine groteske Königin über ihrer eigenen Welt. Die Mischung aus beißendem Spott und schillernder Übertreibung traf den Nerv des Frankfurter Publikums. Eine Annika-Trilogie spannte sich anschließend wie ein düsteres Schauspiel in die Setlist ein. „Annika nimmt Drogen“ wirkte wie ein fiebriger Rausch, „Annika wird Filmstar“ spiegelte die verführerische Oberfläche und den nahenden Absturz, während „Annika geht in den Knast“ die Geschichte mit einem vorläufigen Finale versiegelte. Danach folgten mit „Banana Split“ und „Shark“ weitere groteske Inszenierungen, die zwischen Humor und Härte changierten.

Getrieben von Dark Electro und dekadenter Abgründigkeit peitschten die Grausamen Töchter das Publikum weiter voran. „Ratten“ und „Zuckerwatte“ gerieten dabei zu bissigen Attacken – sarkastische Hymnen, die wie scharfe Spiegelbilder einer kranken Gesellschaft wirkten. Neue Stücke wie „Feuerhexe“ flackerten bedrohlich wie ein loderndes Ritual auf, während „Mein Messer“ zur finsteren Performance wurde: Aranea Peel trat mit Gummihandschuhen auf, und jede ihrer Bewegungen mit dem Küchenmesser jagte Gänsehaut wie eine Szene aus einem Horrorfilm ein. In diesen Darbietungen zeigte sich, warum die Grausamen Töchter längst ein Original unter den kinky Acts sind: kompromisslos, verstörend und zugleich faszinierend.

Zum Cover des Witt-Klassikers „Goldener Reiter“ fiel Aranea Peel im dramaturgischen Gestus die grüne Perücke. Im weißen Kleid übergoss sie sich kurz darauf, um sich während „Norden Süden Osten Westen“ in eine Folie mit Kunstblut zu wälzen. Das Kleid färbte sich blutrot. Als Aranea Peel schließlich mit dem Song, der bei keinem Konzert fehlen darf, „Ich darf das“ die Bühne verließ, stand der Club Kopf. Der Track wirkte wie ein trotziges Manifest, ein Schlussakkord, der Abschied und Provokation zugleich bedeutete. Doch die Nacht war noch nicht vorbei: In der Zugabe kehrte die Band zurück mit dem vierten Teil der Annika-Saga, „Annika ist tot“, und entließ das Publikum schließlich mit dem apokalyptischen Finale „Himmel und Hölle“.

Das Bett in Frankfurt erlebte an diesem Abend extravagantes Gesamtkunstwerk aus Musik und Theater. Vampyros Lesbos schufen die dunkle Einstimmung, die Grausamen Töchter trieben alles bis an die Grenze – und für manchen sogar darüber hinaus. Am Ende blieb das Gefühl, tatsächlich bekommen zu haben, was der Tourtitel versprach: eine Überdosis, die sich wie eine brennende Narbe ins Gedächtnis gräbt.

Andreas Schieler

Leitung, Redakteur und Fotograf